Astarte Syriaca, Öl auf Leinwand, 1877 gemalt von Dante
Gabriel Rossetti, City Art Galleries, Manchester, UK (eines der berühmtesten
Bilder von Astarte) |
"Die
Legende von Astarte auf dem Trucadors"
oder
"Die
große Göttin"
Die
geheimnisvollste Legende aus Formentera von
Hans-Lothar Klatt |
Jedermann ist die Legende von Flavius
Ponticus und der Göttin Astarte bekannt und das Drama, welches sich auf
Espalmador und Es Trucadors, dem Nordzipfel Formenteras, abspielte. Sie muss
also hier nicht noch einmal erzählt werden; oder doch, kurz, für die wenigen
zum Verständnis, die sie noch nicht kennen.
Zu Zeiten
Hannibals und der Punischen Kriege befand sich auf der Insel Espalmador ein römisches
Kastell, zu wachen über den Freus. Es sollten die Römer anderswo gewarnt
werden, falls punische Schiffe auftauchten. Ein solches strandete auf
Espalmador; die Römer erschlugen die Besatzung und erbeuteten eine kleine
Statue der Göttin Astarte, viel schwerer als sie von der Größe her hätte
sein können, mit der Inschrift: „Ich verteidige mein Volk, und der Feind fürchtet
mich.“ Man wuchtete die Statue unter Mühen in das Kastell, doch als der römische
Centurio Flavius Ponticus die Inschrift erblickte, bekam er es mit der Angst
zu tun und befahl, die Statue wieder aus dem Lager zu entfernen. Allein, trotz
aller Anstrengungen gelang es den Römern nicht mehr, die Statue zu bewegen.
In Panik flohen sie hinüber nach Formentera. Doch dann geschah es: mit einem
gewaltigen Krachen zerbarst das Standbild in abertausend Stücke, die Inseln
erbebten, ganz Espalmador und der Trucadors wurden ein Raub der Flammen,
unwirtlich, unbewohnbar – alle Römer waren tot. Zwei Tage später durchpflügte
eine mächtige punische Flotte den Freus gen Rom. Astarte hatte ihr Volk
verteidigt.
Nun kann und
soll der Wahrheitsgehalt dieser Geschichte nicht angezweifelt werden, findet
man sie doch in verschiedenen schriftlichen Aufzeichnungen, ja sogar in Form
einer ergreifenden Ballade.
Doch erhebt
sich die Frage, warum die Göttin Astarte ihr Volk bei Formentera verteidigte,
die Zerstörung und Vernichtung Karthagos kaum 50 Jahre später aber nicht
verhinderte.
Ist Astarte
nicht die mächtigste Göttin des Orients gewesen? Ist Astarte nicht die wilde
ungestüme Löwin gewesen, die von sich sagt:
Ich
lasse regnen auf die Feinde
Einen
Kampf wie einen Feuerstrahl
Ich
durchschreite immer wieder den Himmel
Und
stürze die Erde um
Dann
vernichte ich den Rest der Ortschaften
Ich
bin die kriegerischste aller Götter
Die
die Ortschaften zerschlägt
Eines
ehrfurchtgebietenden Glanzes bin ich voll
Und heißt es nicht in Berichten aus uralten Zeiten:
Knietief watet sie im Blut der Kämpfer
Bis zur Hüfte in den
Eingeweiden der Helden
Ihre Leber schwillt vor
Lachen
Ihr Herz ist voller Freude
Die Leber der Astarte
jubelt
Denn sie watet knietief im
Blut der Kämpfer.
Doch, Astarte war ohne Zweifel die größte
Göttin und fürchtete keinen Feind. Aber sie war müde des Kämpfens, müde
und nachdenklich; müde der Anfeindungen, wurden sie und ihre Priesterinnen
von den Hebräern doch Huren Babylons geschimpft. Sie sah, dass das Kämpfen
unter den Menschen kein Ende nehmen würde; dass auch über 2000 Jahre später
über Babylon stählerne Vögel auftauchen würden, in Schutt und Asche legend
das ganze Land. Und sie sah, dass die Menschen früher oder später sich
abwenden würden von ihr, der Göttin des Krieges. Gab es nicht bei den Hebräern
einen Gott, von dem viele meinten, er sei größer als alle anderen Götter,
ja er sei sogar der einzige Gott?
Samuel aber sprach zum ganzen Haus Israel: „Wenn ihr euch von ganzem
Herzen zu dem Herrn bekehren wollt, so tut von euch die fremden Götter und
die Astarten und richtet euer Herz zu dem Herrn und dient ihm allein, so wird
er euch erretten aus der Hand der Philister.“ Da taten die Israeliten von
sich die Baale und Astarten und dienten dem Herrn allein.
1.Buch
Samuel, 7, 3-4
Es war kein Zufall, dass Astarte vor
Formentera auftauchte. Sie hatte sich die Insel ausgesucht, um zur Ruhe zu
kommen. Sie tat dem Volk, das sie hierher brachte, einen letzten Gefallen,
indem sie die Römer vernichtete, und besann sich auf den anderen Teil ihrer
Gottheit. Denn sie war ja nicht nur – bei Sonnenaufgang – die furchtbare
schreckeneinflößende Kriegsgöttin, sondern auch – bei Sonnenuntergang –
die erotische Göttin der Liebe.
Gerühmt werde die Herrin der
Weiber
Sie,
die mit schwellender Kraft
und Liebreiz angetan
hat Fruchtbarkeit die Fülle,
verführerischer Reiz und
Üppigkeit
Honigsüß ist sie an ihren
Lippen,
Leben ist ihr Mund
Prächtig ist sie,
schön sind ihre Farben!
Fortsetzung |